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Zur Arbeiterwohlfahrt und ihrer Bibliothek

Die Arbeiterwohlfahrt wurde 1919 zunächst als eine Untergliederung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegründet. Zu ihren Initiatoren und frühen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zählte die Reichstagsabgeordnete Marie Juchacz (Vorsitzende bis 1933), die Landtagabgeordnete Hedwig Wachenheim, die Reichstagsabgeordnete und spätere Berliner Bürgermeisterin Luise Schroeder, der Reichstagsabgeordnete und Arzt Dr. Julius Moses, der spätere amerikanische Hochschullehrer Walter Friedländer, die spätere zweite Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland Jeannette Wolff und der spätere Kölner Oberbürgermeister Robert Görlinger. Ins Auge springt der hohe Anteil jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich dem neugeschaffenen Wohlfahrtsverband der demokratischen Linken verpflichtet fühlten.

Arbeiterwohlfahrt

Hauptsammlung der AdsD
Signatur 6/PLKA017449

Trotz gewisser Ressentiments prominenter Sozialdemokraten entwickelte sich der neue Wohlfahrtsverband rasch zu einer wichtigen Massenorganisation mit ca. 135.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, 2.500 Ortsausschüssen mit eigenen Einrichtungen, die klassisch aus "Arbeitergroschen" finanziert wurden.

Die anderen, zumeist konservativ eingestellten Wohlfahrtsverbände, standen der neuen Organisation zumeist kritisch distanziert gegenüber. Der von der Arbeiterwohlfahrt propagierte Vorrang der öffentlichen vor der freien Wohlfahrtspflege und die politische Grundrichtung schreckte die anderen Verbände ab. Große Ressourcen konnte der neue Verband nicht ansammeln; zum Ende der Weimarer Republik ging es im Verband nur noch darum, das Massenelend der arbeitslosen Bevölkerung zu mindern. Als einziger Wohlfahrtsverband beteiligte sich die Arbeiterwohlfahrt aktiv am Kampf gegen den Nationalsozialismus. Die Beiträge in der Verbandszeitschrift "Arbeiterwohlfahrt" belegen eindrucksvoll das Bemühen, trotz Hoffnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit die Demokratie zu retten.

Die Arbeit der Arbeiterwohlfahrt selbst wurde auf Reichsebene von Fachkommissionen angeleitet. Für die Bibliothek war die Fachkommission "Ausbildung, literarische Arbeiten, Archiv" zuständig. Das Archiv sammelte die ungedruckten Berichte der Ausschüsse. Den Grundstock der Bibliothek bildete die Handbibliothek des "Geschäftsführenden Ausschusses". Hier wurden 129 eingehende Fachzeitschriften" formal und inhaltlich erschlossen. Der Buchbestand sollte "über die Weiterentwicklung der Wohlfahrtspflege und die Stellungnahme der verschiedenen Organisationen und Fachleute" informieren.

1928 bekam die Arbeiterwohlfahrt in Berlin das Recht zugesprochen, in einer eigenen Wohlfahrtsschule kommende Fürsorgerinnen und Fürsorger auszubilden. Die Handbibliothek avancierte zur Schulbibliothek und wurde entsprechend ausgebaut. Zu den Lehrerinnen an der Schule zählte Dorothea Hirschfeld (1877-1966). Die gelernte Bibliothekarin war von 1919 bis zu ihrer Entlassung 1933 im Reichsarbeitsministerium tätig. Als Kuratoriumsmitglied der Schule tat sie viel für den Aufbau der Bibliothek.

1933 wurde die Arbeiterwohlfahrt - wie alle anderen Organisationen der Arbeiterbewegung auch - verboten. Die systematische Erforschung der nationalsozialistischen Gewaltaktionen gegen die Arbeiterbibliotheken und die Geschichte ihrer Bestände steht erst am Anfang. Im Falle der Arbeiterwohlfahrt wissen wir etwas mehr. Hier "interessierte" sich die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt für die Bestände und raubte die Bibliothek aus.

Nach 1945 wurde die AWO auf unterer Ebene von den alten Mitgliedern sofort neu aufgebaut. Sitz der neuen Organisation wurde Hannover. Die AWO löste zwei Jahre nach Kriegsende die organisatorischen Bande zur Sozialdemokratie und entwickelte sich zu einem der großen unabhängigen Verbände der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland, der nach der Wiedervereinigung Deutschlands ganz neue Aufgaben und Funktionen in den neuen Bundesländern erfüllte. Dieser Prozess soll an dieser Stelle nicht skizziert werden. Der Historiker Heinz Niedrig hat den Veränderungsprozess auf eine knappe Formel gebracht: "Statt einer Helfer- und Ausschuss-Basis mit seinerzeit wenigen Einrichtungen ist die AWO heute ein wie eine Partei von unten nach oben demokratisch aufgebauter Verein, basierend auf 4.400 Verbandsgliederungen, über 600.000 Mitgliedern, über 130.000 hauptberuflichen und 100.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, etwa 12.000 Sozialen Diensten und Einrichtungen und einem ‚Jahresumsatz' von rund 3,5 Milliarden Euro (ohne Investitionen)."

Über den Wiederaufbau der Bibliothek unmittelbar nach Kriegsende wissen wir vergleichsweise wenig, weil eine entsprechende Aktenüberlieferung sich nicht erhalten hat. Wir wissen allerdings, dass die ehemalige AWO-Vorsitzende Marie Juchacz im amerikanischen Exil aus Mitteln der "Exil-AWO" (d.h. amerikanischen Spenden) den Transport von amerikanischen Bücherspenden in die wiedergegründete SPD-Bibliothek nach Hannover organisierte. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass auch die AWO-Zentrale bedacht wurde. Das zweite erschiene Jahrbuch 1950/51erwähnt die Bibliothek bereits als ein neues zentrales Dienstleistungszentrum der Organisation.

Stempel in den Büchern belegen, dass die ersten Bücher von ausländischen Hilfsorganisationen kamen. Vor allem das Schweizerische Arbeiterhilfswerk und jüdische Hilfsorganisationen spendeten. Es finden sich indes auch Stempel, die auf eine nationalsozialistische Provenienz hinweisen.

Die Bibliothek der AWO war zunächst am Sitz des Hauptausschusses in Hannover untergebracht. Mit der Organisationsspitze wurde die Bibliothek 1952 in einen Barackenbau nach Bonn verlegt. Später wurde sie in das neue Verbandshaus im Bonner Stadtteil Tannenbusch untergebracht.

Auf der Festveranstaltung am 15. März 2004 zum 125. Geburtstag der AWO-Gründerin Marie Juchacz im Deutschen Reichstag unterzeichneten die Geschäftsführer der AWO und der FES einen Vertrag, der die Bibliothek der AWO treuhändlerisch als Dauerleihgabe der FES übergibt.

Fotosammlung AdsD;
Signatur: 6/FOTA027399;
Datum: 1947
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Die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt und von 1919 bis 1933 deren Vorsitzende, Marie Juchacz, wurde am 15. März 1879 geboren. 1917 übernahm sie das Frauensekretariat im Vorstand der SPD. Am 13. Dezember 1919 veranlasste sie in einer Sitzung des Parteivorstandes die Gründung der Arbeiterwohlfahrt. Als Teil der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung setzte sich die Arbeiterwohlfahrt als Ziel, den modernen Sozialstaat Wirklichkeit werden zu lassen. 1933 musste Marie Juchacz ins politischen Exil fliehen. Nach ihrer Rückkehr 1949 aus New York wurde sie Ehrenvorsitzende der AWO. Sie starb am 28. Januar 1956.

Fotosammlung AdsD;
Signatur : 6/FOTA007071;
Datum: 27.04.1949
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Internetempfehlung zur weiteren Lektüre:
AWO-Internetseite Archiv - Geschichte/historische Dokumente auf www.awo.org


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Dr. Rüdiger Zimmermann
Leiter der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung