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Im diesem Winter 2004/2005 befinden sich die deutsch-polnischen Beziehungen keineswegs in einem Höhenflug - auch wenn die beiden Regierungen unermüdlich versuchen, die Wogen wieder zu glätten, welche die rüden Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern in den letzten zwei Jahren verursachten, und jene Interessengemeinschaft zu retten, die trotz aller Rückschläge und Missverständnisse in den 90er Jahren zu einem zukunftsträchtigen Paradigmenwechsel in den deutsch-polnischen Beziehungen führten. Das neue Fundament bildeten nicht nur die Verträge von 1990 und 1991, die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch das souveräne und wiedervereinigte Deutschland, auch nicht nur der große Freundschaftsvertrag über die gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch die - durchaus bahnbrechende - Erkenntnis, dass die deutschen und polnischen nationalen Interessen zum ersten Mal seit zwei-, dreihundert Jahren parallel und nicht konträr zueinander verlaufen.

Die politischen, wirtschaftlichen und geistigen Folgen waren frappierend. Polens Weg nach Europa führe über Deutschland, sagten polnische Politiker. Deutschland sei der beste Anwalt polnischer Interessen in der NATO und in der EU, echoten die deutschen Politiker. Fest gestützt durch die unverbrüchlich erscheinende transatlantische Allianz entwarfen die Politiker sogar eine attraktive Spielwiese zur schnellen Heranführung Polens an das deutsch-französische "Kerneuropa" - sie hieß "Weimarer Dreieck" und half einerseits, Polen im Westen salonfähig zu machen, und andererseits, Deutschland und Polen nicht allzu alleine im Osten ihren historischen Alpträumen zu überlassen.

Die Folgen des Umschwungs schienen atemberaubend zu sein. Da untersuchten deutsche und polnische Historiker gemeinsam die heikelsten Probleme, deutsche Vertriebene entwickelten zusammen mit ihren polnischen Nachfolgern gemeinsame Ausstellungen. Da wurde Herbert Hupka, jahrzehntelang in den polnischen Medien als DER Revanchist geschmäht, mit einer Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Ratibor ausgezeichnet. Da entwarf ein ostdeutscher Politiker - Manfred Stolpe - einen Plan, auf beiden Seiten der Oder-Neiße-Grenze eine Zone intensiver deutsch-polnischen Zusammenarbeit zu errichten, was einige Jahre später der polnische Staatspräsident und der polnische Außenminister gar zum Rang eines "Oderbundes" erheben wollten.

Es gab zwar immer wieder Spannungen an der Basis: In Deutschland murrte man wegen polnischer Diebe, die mal Schlesien, mal Autos, mal Jobs klauten, in Polen dagegen über gewendete Revisionisten, die jetzt mit der D-Mark das zurückbekommen möchten, was in zwei Weltkriegen deutsche Politiker aufs Spiel gesetzt und die deutschen Armeen und Mordkommandos verloren hatten. Es gab auch konkrete Interessengegensätze im Zuge der polnischen Beitrittsverhandlungen. Polen musste sich der deutschen wirtschaftlichen Expansion früher öffnen, als die EU bereit war, sich für polnische Produkte wie Stahl oder Lebensmittel, aber auch für polnische Arbeitnehmer zu öffnen. Trotzdem, der große Tragebalken der strategischen deutsch-polnischen Interessengemeinschaft überbrückte die momentanen Spannungen. Und das kam am besten im Dezember 2002 in Kopenhagen zum Ausdruck, als der polnische Ministerpräsident Leszek Miller aufgrund seiner guten persönlichen Beziehungen zum deutschen Bundeskanzler quasi in letzter Minute die Beitrittskonditionen für Polen verbessern konnte.

Und dann, im Januar 2003, war es aus mit gutem Einvernehmen, mit der Empathie und der Interessengemeinschaft. Polen und Deutschland drifteten auseinander: in der Irak-Politik, dann auch in der Frage der EU-Verfassung und schließlich in der Erinnerungspolitik. Lauter nationale Interessengegensätze kamen zum Vorschein. Und die Öffentlichkeiten in beiden Ländern wurden im Nu an die alten deutsch-polnischen Schlammschlachten erinnert. Von Polen als einem "trojanischen Esel Amerikas" war in den deutschen Medien die Rede, und in den polnischen von der deutschen Undankbarkeit gegenüber Amerika, das die Bundesrepublik vor dem Kommunismus beschützt und wirtschaftlich aufgepäppelt hatte. Mehr noch, von schleichenden neoimperialen Ambitionen Deutschlands - diesmal im EU-Gewande - und - nach Schröders und Putins Bruderkuss -von einer Neuauflage der alten Umarmungsstrategie über Polen hinweg war die Rede. Auch die polnischen Widerstände gegen die EU-Verfassung ergaben sich aus dem alten Misstrauen gegenüber Deutschland und einem neuen gegenüber Frankreich. Die beiden hätten ihr Gewicht in der EU-Verfassung weitaus zu hoch eingependelt, auch auf Kosten Polens, das für seine proamerikanische Entscheidung im Irak-Krieg mit einer Zurückstufung im Vergleich zu den Festlegungen von Nizza 2000 bestraft worden sei. Die Folge war die griffige, nichtsdestoweniger dumme Parole der polnischen Opposition: "Nizza oder der Tod".

Gestorben sind die polnischen Politiker des rechten Flügels für Nizza keineswegs, auch dann nicht, als die vor den Augen dahinschmelzende Regierung sich der Rechten entgegenstemmte und den Verfassungsvertrag unterzeichnete. Sie blies aber zu einer Reiterattacke ihrer gesamten Schwadronen auf dem Feld, das die nationalen Emotionen am leichtesten entflammen lässt, dem der Erinnerungspolitik.

Die Auseinandersetzung um die deutsch-polnische Zeitgeschichte loderte seit Monaten, wenn nicht Jahren. Und - so die einhellige Überzeugung in Polen - nicht von polnischer Seite wurden die Fackeln ins ausgetrocknete Gebüsch geworfen. Der Bösewicht sei die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die keine Gelegenheit unterlassen habe, Polen als EU-Anwärter auf unwürdigste Weise zu brüskieren und mit immer neuen Ansprüchen zu beleidigen; moralisch, indem sie eine erneute polnische Entschuldigung für die Vertreibungen forderte, juristisch, indem sie einen Widerruf der angeblichen Bierut-Dekrete postulierte, und politisch, indem sie eine zumindest symbolische Wiedergutmachung für die Vertriebenen verlangte. Der Steppenbrand entflammte, als sie 2002 tatkräftig ihre Idee verfolgte, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, was in Polen wie ein Fanal wirkte. Die Debatte um die Erinnerungspolitik eskalierte 2003 über Monate, bis sie im Sommer 2004 einen regelrechten Feuersturm erzeugte. Auf die Entschädigungsansprüche einer Gruppe von Vertriebenen antwortete der polnische Sejm mit einem geharnischten Aufruf an die polnische Regierung, sie solle der deutschen Regierung polnische Reparationsforderungen unter die Nase reiben. Darüber hinaus beantragte der Sejm, eine entsprechende Schätzungskommission zu berufen. Da die polnische Regierung sich der völligen Demontage der deutsch-polnischen Beziehungen entgegenstemmte und zusammen mit der Bundesregierung erneut eine deutsch-polnische Interessengemeinschaft beschwor und sogar praktizierte, geriet sie unter heftigsten Beschuss der Opposition.

Wer den Streit um die Entschädigungen verstehen will, muss daher vor allem die polnische Innenpolitik unter die Lupe nehmen. Die Bestandsaufnahme liefert ein zutiefst widersprüchliches Bild. Die Wirtschaft floriert mit Wachstumsraten von über 5 Prozent, der Aktienindex WIG schlägt nach dem Beitritt alle Rekorde und auf der Liste der 150 größten Firmen Ost- und Mitteleuropas finden sich 55 polnische. Darüber hinaus erlebt Polen nach dem jüngsten OECD-Bericht einen beispiellosen Bildungsboom: Millionen Abiturienten, 70 Prozent eines jeden Jahrgangs, strömen in die Hochschulen. Auch auf dem Lande kommt es zu einem pro-europäischen Umschwung, nachdem die Bauern nun tatsächlich in den Genuss von Direktzahlungen kommen.

Auf der anderen Seite liegt die Arbeitslosigkeit noch immer knapp unter 19 Prozent, und die über Monate in allen Details vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen breitgewälzten Korruptionsaffären haben das linke Regierungslager nachhaltig demontiert. Seit 2002 hat Polen eine Minderheitsregierung, die tiefgreifende innenpolitische Reformen einleiten musste und damit der Opposition willkommene Angriffsflächen bot, während sie in der Außenpolitik in der schwierigsten Phase des transatlantischen Dissenses eher ungeschickt zwischen EU und USA manövrierte.

Es gibt allerdings eine Entschuldigung für diese Versäumnisse: das EU-Referendum. Eine allzu dezidierte außenpolitische Auseinandersetzung mit den Populisten hätte den Volksentscheid über den EU-Beitritt womöglich zur Abstimmung über die Regierung geraten lassen. Das Referendum fiel dann eindeutig pro-europäisch aus, wobei in den ehemals deutschen Gebieten die Zustimmung noch höher war als in Ost- und Zentralpolen. Auch in den 1914 preußischen und österreichischen Landesteilen sind die Menschen pro-europäischer als im früher russischen Teilungsgebiet. Die Ängste vor den Deutschen sind mithin in der Bevölkerung schwächer ausgeprägt als bei einem großen Teil der politischen Klasse.

Populistischer Opportunismus oder individuelle Phobien erklären allerdings noch nicht Exzesse der innenpolitischen Debatte, wie Polen sie unlängst erlebte. In der Wahrnehmung der Abgeordneten ist dies die in Deutschland vorherrschende Geschichtsinterpretation, eine Neigung zur Umdeutung der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, die aus Tätern Opfer mache und die wahren Opfer des deutschen Überfalls von 1939 zu Tätern. Man braucht nur eine beliebige polnische Zeitung aufzuschlagen, um lange Aufzählungen von Unterschlagungen, sprachlichen Stigmatisierungen oder Geschichtsklitterungen im deutschen historischen Bewusstsein zu finden, desgleichen Belege für juristische Fallstricke in der deutschen Verwaltung wie den Verweis des Bundesfinanzministeriums an die Adresse der deutschen Vertriebenen, sie sollten ihre Ansprüche polnischen Gerichten vorlegen.

Dies nutzen wiederum die Populisten in Polen. Böswillige könnten behaupten, Polen gerate nicht erst fünf Jahre nach dem EU-Beitritt, wie Österreich, sondern schon fünf Monate danach in eine populistische Phase. Doch ein polnischer Haider ist nicht in Sicht, die Xenophobie im Lande hält sich in Grenzen, die Angst vor dem deutschen "Erbfeind" ebenfalls.

Auf den ersten Blick wird im Jahre 2005 dieser deutsch-polnische Steppenbrand sein Unwesen weiter treiben. Polen wird im Frühjahr von einem heftigen Wahlkampf erschüttert werden. Und so wie die rechten Gruppierungen ihre innenpolitische Offensive bisher angelegt haben, spielt darin die Instrumentalisierung der Geschichte eine zentrale Rolle. Die runden Jahrestage des Kriegsendes können dabei einen willkommenen Hintergrund für Auseinandersetzungen darstellen: Die Befreiung von Warschau und Auschwitz, Jalta, die Bombardierung Dresdens und dann die Befreiung? Eroberung? ostdeutscher/westpolnischer Städte wie Allenstein, Breslau und Stettin. Die wilden Vertreibungen und die Repatriierung der Polen aus den an die Sowjetunion angeschlossenen Gebieten Ostpolens und schließlich das Kriegsende im Mai und Potsdam im Juni werden die Debatte entfachen: Wer hat denn den Zweiten Weltkrieg gewonnen und wie konstitutiv ist Potsdam?

Bei den letzten Debatten wird Polen zwar bereits ein neues Parlament haben. Aber der nächste Wahlkampf wird dann gerade anfangen: vor den Präsidentschaftswahlen im Herbst. Es gibt allerdings eine Hoffnung, dass dieser Wahlkampf schon versöhnlichere Töne anschlagen könnte, weil er nicht an den Flügeln der recht instabilen politischen Klasse, sondern in der Mitte der polnischen Gesellschaft ausgetragen wird. Nicht ein Einpeitscher, sondern ein Versöhnler wird womöglich die Gunst der Wähler auf sich ziehen können. Und wenn einer das wollte, könnte er einen guten Anlass dafür haben und die Geschichte der deutsch-polnischen Versöhnung entsprechend würdigen. Veranlassungen dafür gibt es durchaus im nächsten Jahr. Im Juni jährt sich zum 40. Mal die Veröffentlichung der EKD-Denkschrift für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, im Oktober - ebenfalls zum 40. Mal - die der Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder mit dem historischen Satz "wir vergeben und bitten um Vergebung" und schließlich am 7. Dezember zum 35. Mal Willy Brandts Kniefall in Warschau.

Rechtzeitig vor dem deutschen Wahlkampf 2006 kann es also polnischerseits Ruhe geben an der deutsch-polnischen Front der Geschichtspolitik, möglicherweise sogar schon früher, denn es gibt allerhand Indizien dafür, dass das rechte Lager mit der Wucht seiner rückwärtsgewandten Emotionalisierung der Politik einen Fehlstart beging. Meinungsumfragen belegen, dass die polnischen Wähler sich allmählich wieder nach moderateren Tönen sehnen. Und das ist gut so, denn das Jahr 2005 ist ein deutsch-polnisches Jahr. Es bietet einige Chancen, das 2003 und 2004 zerschlagene Porzellan erneut zu kitten

(Text in polnischer Sprache/ Text in Polish language/ Tekst w języku polskim)

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Adam Krzeminski
ist Publizist und Mitarbeiter der Wochenschrift "Polityka", Warschau

Deutsch-polnische
Beziehungen

Denkmal auf der Westerplatte bei Danzig
(Foto: Klaus Reiff)